Linkskatholisch

Predigt

Leicht wie eine Feder

Joh 20,19–31, Zweiter Sonntag der Osterzeit

#Predigt #Ostern #Joh

I

Kennen Sie das auch: Ich gehe durch die Straßen meiner Heimatstadt, sie sind mir vertraut, aber gerade deswegen beachte ich sie nicht weiter. Mit einem Mal bleibt mein Blick an einem Ort oder einem Haus hängen und ohne dass ich dies wollte, schießen die Erinnerungen in mein Gedächtnis. Szenen meiner Kindheit und Jugend werden wieder lebendig, Bilder steigen in mir auf, von dem, was mich unbewusst mit dieser Situation verbindet und was mich womöglich bis heute prägt.

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Warten auf das Leben

Lk 24,13-35, Ostermontag

#Predigt #Ostern #Lk

I

Wahrscheinlich lebt man gar nicht, sondern wartet darauf, dass man bald leben werde; nachher, wenn alles vorbei ist, möchte man erfahren, wer man, solange man gewartet hat, gewesen ist.

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Rettungsring in stürmischer See

LK 24,1–12, Osternacht C

#Predigt #Ostern #Lk

I

Wir schreiben den 13. Januar 1982; eine Boeing 737 startet unter schwierigen Wetterbedingungen vom Washington International Airport und kollidiert wenig später mit einem hoch aufragenden Brückenpfeiler. Mitten in einem dicht besiedelten Gebiet stürzt das Flugzeug in den zu dieser Jahreszeit eiskalten Potomac River. Einige Passagiere überleben den Absturz und treiben nun zwischen den Trümmern des Flugzeugwracks hilflos im Wasser – ohne Rettungswesten, denn unmittelbar nach dem Start hatte niemand mit so einer Situation gerechnet. Es ist allenfalls eine Frage von Minuten, bis man da die Kraft verliert und untergeht.

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Meeresküste in Nordafrika

Mt 5,1-12, Vierter Sonntag im Jahreskreis A

#Predigt #Mt

I

Im Frühling wohnen in Tipasa die Götter. Sie reden durch die Sonne und durch den Duft der Wermutsträucher, durch den Silberkürass des Meeres, den grellblauen Himmel, die blumenübersäten Ruinen und die Lichtfülle des Steingetrümmers. Zu gewissen Stunden ist das Land schwarz vor lauter Sonne. Vergebens suchen die Augen mehr festzuhalten als die leuchtenden Farbtropfen, die an den Wimpern zittern. Der herbe Geruch der Kräuter kratzt in der Kehle und benimmt in der ungeheuren Hitze den Atem. Hier trifft man die Götter wie Ruhepunkte im Lauf der Tage. Ich sage: “Dies Ding ist rot und jenes blau und jenes grün. Hier ist das Meer und dort das Gebirge, und dort sind Blumen.”

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Sanduhr

Lk 1,39–56, Fest der Aufnahme Marias in den Himmel (15. August)

#Predigt #Heilige #Lk

I

O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? »Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh –, Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit –, will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Friedrich Nietzsche, Das trunkne Lied, aus: Also sprach Zarathustra. Vierter und letzter Teil

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Die brennende Kathedrale Notre Dame in Paris

LK 24,1-12, Osternacht C

#Predigt #Ostern #Lk

I

Aus dem Dachstuhl von Notre-Dame in Paris schlägt lichterloh das Feuer. Eine Zeitlang ist nicht klar, ob diese Kirche gerettet werden kann. Erschütterung bricht sich auch in ganz und gar weltlichen Beobachtern des Geschehens ihre Bahn: beinahe, so heißt es, wären das „Herz und die Seele“ einer Nation, ja ganz Europas, in Schutt und Asche gelegen. Schon ist von einer notwendigen Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln die Rede, und sogar davon, dass die säkulare Kultur durch den Verlust des Glaubens diese Katastrophe irgendwie mit verschuldet hätte [1]. Jetzt habe man es buchstäblich vor Augen, wie mit dem Glauben auch die eigene Identität verloren ginge. – Wenn das die Konsequenz aus dem Brand der Kathedrale von Notre-Dame sein sollte, dann wäre es vielleicht besser gewesen, sie wäre ein Raub der Flammen geworden, so sehr es mir bitter leid getan hätte um dieses unersetzliche Zeugnis europäischer Geschichte und Kultur.

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Blick in eine Synagoge

Jes 6,1-2a.3-8

#Predigt #Jes

I

Plötzlich löst sich die Stimmenverwirrung und – ein feierlicher Schreck fährt durch die Glieder – einheitlich, klar und unmissverständlich hebt es an: qadosch qadosch qadosch elohim adonai zebaoth maleu haschamajim wahaarez kebodo (Heilig Heilig Heilig ist Gott, der Herr der Heerscharen! Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll). Ich habe das Sanctus Sanctus Sanctus von den Kardinälen in St. Peter und das Swiat Swiat Swiat in der Kathedrale des Kreml und das Hagios Hagios Hagios vom Patriarchen in Jerusalem gehört. In welcher Sprache immer sie erklingen, diese erhabendsten Worte, die je von Menschenlippen gekommen sind, immer greifen sie in die tiefsten Gründe der Seele, aufregend und rührend mit mächtigem Schauer das Geheimnis des Überweltlichen, das dort unten schläft.

Rudolf Otto, Das Heilige [1], S. 13

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Zerfließende Zeit

Lk 1,1-4; 4,14-21, Dritter Sonntag im Jahreskreis C

#Predigt #Lk

I

Corona

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt:   wir sind Freunde. Wir schälen die Zeit aus den Nüssen   und lehren sie gehn: die Zeit kehrt zurück in die Schale.

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Eisenbahn-Tunnel

Ijob

#Predigt #Ijob

I

Ein vierundzwanzigjähriger [Student], fett, damit das Schreckliche hinter den Kulissen, welches er sah (das war seine Fähigkeit, vielleicht seine einzige) nicht allzu nah an ihn herankomme, der es liebte, die Löcher in seinem Fleisch, da doch gerade durch sie das Ungeheuerliche hereinströmen konnte, zu verstopfen, derart, dass er Zigarren rauchte … und über seiner Brille eine zweite trug, eine Sonnenbrille, und in den Ohren Wattebüschel: Dieser junge Mann, noch von seinen Eltern abhängig und mit nebulösen Studien auf der Universität beschäftigt, die in einer zweistündigen Bahnfahrt zu erreichen war, stieg eines Sonntagnachmittags in den gewohnten Zug, Abfahrt siebzehnuhrfünfzig, Ankunft neunzehnuhrsiebenundzwanzig, um anderentags ein Seminar zu besuchen, das zu schwänzen er schon entschlossen war.

Friedrich Dürrenmatt ​[1]​

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Sternschnuppen

Joh 12,24-26, Heiliger Laurentius (10. August)

#Predigt #Heilige #Joh

I

Lange laue Sommernächte wie im Urlaub in südlichen Ländern konnten wir in den letzten Wochen genießen: draußen sitzen, die angenehme Abendluft spüren, miteinander plaudern und sich unter den Sternen am Himmel ganz leicht und frei fühlen. Nach einer kurzen Abkühlung könnte heute wieder so eine Nacht sein. Wer morgen nicht gleich früh aufstehen muss, kann sich ein Plätzchen mit freier Sicht suchen und dann mit etwas Glück etwas Besonderes am nächtlichen Himmel beobachten: Sternschnuppen. Und weil es regelmäßig um genau die Zeit des Jahres herum, wo wir das Fest des heiligen Laurentius feiern, ungewöhnlich viele Sternschnuppen sind, nennt man dieses Phänomen seit alter Zeit auch die Laurentiustränen. Man bringt diese kleinen glühenden Spuren am Himmel in Verbindung mit dem Martyrium des Laurentius, der ja in der Glut zu Tode gekommen sein soll und so ein Zeugnis für seinen Glauben abgelegt hat.

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