Wir schreiben den 13. Januar 1982; eine Boeing 737 startet unter schwierigen Wetterbedingungen vom Washington International Airport und kollidiert wenig später mit einem hoch aufragenden Brückenpfeiler. Mitten in einem dicht besiedelten Gebiet stürzt das Flugzeug in den zu dieser Jahreszeit eiskalten Potomac River. Einige Passagiere überleben den Absturz und treiben nun zwischen den Trümmern des Flugzeugwracks hilflos im Wasser – ohne Rettungswesten, denn unmittelbar nach dem Start hatte niemand mit so einer Situation gerechnet. Es ist allenfalls eine Frage von Minuten, bis man da die Kraft verliert und untergeht.
O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? »Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh –, Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit –, will tiefe, tiefe Ewigkeit!«
Friedrich Nietzsche, Das trunkne Lied, aus: Also sprach Zarathustra. Vierter und letzter Teil
Aus dem Dachstuhl von Notre-Dame in Paris schlägt lichterloh das Feuer. Eine Zeitlang ist nicht klar, ob diese Kirche gerettet werden kann. Erschütterung bricht sich auch in ganz und gar weltlichen Beobachtern des Geschehens ihre Bahn: beinahe, so heißt es, wären das „Herz und die Seele“ einer Nation, ja ganz Europas, in Schutt und Asche gelegen. Schon ist von einer notwendigen Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln die Rede, und sogar davon, dass die säkulare Kultur durch den Verlust des Glaubens diese Katastrophe irgendwie mit verschuldet hätte [1]. Jetzt habe man es buchstäblich vor Augen, wie mit dem Glauben auch die eigene Identität verloren ginge. – Wenn das die Konsequenz aus dem Brand der Kathedrale von Notre-Dame sein sollte, dann wäre es vielleicht besser gewesen, sie wäre ein Raub der Flammen geworden, so sehr es mir bitter leid getan hätte um dieses unersetzliche Zeugnis europäischer Geschichte und Kultur.